⌊ PERSPEKTIVWECHEL - GRUNDVORAUSSETZUNG FÜR REALISIERUNG VON INTERESSEN


Perspektivwechel -
Grundvoraussetzung für Realisierung von Interessen


Perspektivwechel - Grundvoraussetzung für Realisierung von Interessen


Rechtsrat wird nicht für Rechtsfragen gesucht, sondern für praktische Aufgaben, die einer Lösung bedürfen. Oft liegen diese breiter oder anders, als Recht sie fassen kann. Gerade auch in Streitfällen. Rechtliche oder gar zivilprozessuale Perspektive verstellt den Blick für Lösungsmöglichkeiten: Bei solchem Raster wird das, was lebenspraktisch Enttäuschung ist (Wortsinn: ent-Täuschung), als Gesetzesverletzung oder Rechtsverletzung begriffen, und bleibt die Lösungssuche dann auf diesen Rahmen und damit auch auf die enttäuschte Beziehung, gleich ob diese privater oder geschäftlicher Natur ist, selbst beschränkt. Als Resultat folgt, dass der Kuchen, vermeintlich gerecht, neu aufgeteilt werden solle - um dann festzustellen, dass das, was bereits gegessen war, so nicht mehr neu verteilt werden kann.

Mediation und Cooperative Praxis versuchen, den weiteren Rahmen in den Blick zu nehmen, über das, wo auch Recht seine Grenzen erreicht, hinaus: Konflikte nicht mit Blick nur auf das Vergangene zu ordnen zu versuchen, sondern Lösungen zu erarbeiten, die in die Zukunft gerichtete Interessen passgenau aufnehmen und berücksichtigen. Das erfordert auch, dass die Parteien sich wechselseitig in die Perspektive des anderen hineinversetzen, genau hinschauen und zuhören, um zu einer optimalen Lösung zu gelangen. Das erscheint viel verlangt in Streitsituationen, in denen, so ja der "Befund", der andere vorher eben nicht getan hat, was er hätte tun sollen. 

Der Unterton, der bei allem hineinzukommen scheint, ist nicht einer, der der Rechtsordnung fremd ist oder gar so etwas wie selbstlose Gutwilligkeit einforderte. Dieser entspricht im Gegenteil tragenden Prinzipien des Zivilrechts und Zivilprozessrechts:

Parteien dürfen ihre Beziehungen regelmäßig selbst frei gestalten, soweit sie zur Regelung ihrer Geschicke imstande sind und nicht künstlich voreinander geschützt werden müssen. Das ist die Vertragsfreiheit, und im Rahmen dieser auch die Freiheit, Streitigkeiten oder Ungewissheiten per Vertrag zu regeln (vom Gesetz Vergleich genannt), und einen solchen per notarieller Form auch vollstreckbar auszugestalten. Parteien dürfen auch vereinbaren, auch Streitfragen von Dritten, etwa Schiedsgutachtern, entscheiden lassen, sie dürfen eigene Gerichte, Schiedsgerichte, bestimmen und zusammensetzen und sich diesen unterwerfen. Streitentscheidung vor staatlichen Gerichten wird damit eigentlich zur bloßen Auffanglösung, wenn Wille und Einfallsreichtum der Parteien zu solchen außergerichtlichen Lösungen nicht hinreichen.

Vertragfreiheit wird umgesetzt durch Kommunikation, im Recht auch heruntergebrochen auf den Begriff der Willenserklärung. Für die Arbeit mit Willenserklärungen gibt die Rechtsordnung jedem von vornherein den Wechsel der Perspektive mit auf, nur zu dem Zweck, dass die Willenerklärung überhaupt das bewirken kann, was sie bewirken soll: Maßgebend für das Verständnis der Willenserklärung ist nicht das eigene Verständnis, sondern das des Empfängers, des Partners, der anderen Partei: Es gilt der Grundsatz des Empfängerhorizonts. Auf Unwille oder Unfähigkeit zum genauen Hinschauen, Zuhören und Perspektivwechsel folgt als Sanktion der Rechtsordnung, dass das, was man sich selbst vorgestellt haben mag, so nicht gilt, und bürdet die volle Verantwortung für die Folgen auf.

Genau hinschauen, zuhören, sich in den anderen hineinversetzen und Lösungen verantwortungsvoll formulieren, im eigenen Interesse. Das, worauf die Rechtsordnung die Ausgestaltung zivilrechtlicher Freiheiten überhaupt gründet, ist das, was auch Mediation und Cooperative Praxis funktionsfähig macht.


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